Dr. Wolfgang Eckelt im Dialog mit Thomas Sedran, CEO, Volkswagen Nutzfahrzeuge | Top Company Guide

Im Dialog mit Thomas Sedran

CEO, Volkswagen Nutzfahrzeuge

Nach einer Phase der großen Euphorie scheint sich beim Thema autonomes Fahren derzeit vielfach Ernüchterung breitzumachen. Mit Thomas Sedran, CEO der Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), haben wir über das Thema gesprochen: Was macht die Entwicklung von Robotaxis so schwierig? Wie setzt man sie sinnvoll ein?
Und welche Rolle spielt VWN dabei?

Herr Sedran, war die Idee vom Robotaxi nur Science Fiction?
Nein, wir werden in absehbarer Zeit den Tag erleben, an dem autonome Autos ohne Menschen am Steuer durch unsere Städte fahren. Allerdings dauert es länger als viele ursprünglich gedacht haben, bis Robotaxis das eigentliche Geschäftsmodell der Automobilindustrie erweitern. Klar ist auch: Die Menschen werden weiter Autos kaufen und die Hersteller werden mit ihren Produkten weiter Geld verdienen.

Woher kamen denn die überzogenen Erwartungen?
Da haben einige Visionäre, insbesondere im Silicon Valley, euphorisch entdeckt, wie schnell 95 Prozent dieser Technik beherrschbar sind. Von ihren Ankündigungen haben sich Teile der Branche anstecken, beziehungsweise aufschrecken lassen. Jetzt wird ihnen klar, dass die restlichen 5 Prozent alles andere als trivial sind. Heute sind alle sehr viel skeptischer und vor allem realistischer geworden. Das hat auch einen positiven Effekt, denn nun wird intensiv an realitätsnahen Konzepten gearbeitet.

Dann noch mal ganz konkret gefragt: Können Sie heute schon autonom fahren?
Mit Sicherheitsfahrer ja. Auf leichteren Strecken ist es sogar relativ einfach, viele Kilometer ohne Eingriff zu fahren: beispielsweise in Phoenix, Arizona, mit breiten Straßen ohne Fußgänger oder Fahrradfahrer, bei schönem Wetter. In Hamburg testen wir hingegen realistischer: Mitten im Mischverkehr in der Innenstadt. Das ist noch äußerst anspruchsvoll. In jedem Fahrzeug steckt die Rechenleistung von 15 Laptops, die pro Minute fünf Gigabyte Daten verarbeiten. Vor 2025 werden wir nach unserer Einschätzung kein Produkt am Markt haben, das so sicher ist, dass wir es skalieren können. In der Fabrik in Hannover haben wir bereits fahrerlose, vollständig autonome Transportsysteme. Aber Menschen mit höheren Geschwindigkeiten zu befördern, ist ungleich schwieriger, weil es Tausende von Sonderfällen gibt, die man antizipieren muss.

Volkswagen Nutzfahrzeuge verantwortet im Volkswagen Konzern die Entwicklung des Roboterautos. Wie kam es dazu?
Volkswagen beschäftigt sich als Konzern grundsätzlich schon lange mit dem autonomen Fahren. Wir haben in den vergangenen Monaten sehr systematisch überlegt, was der richtige Weg ist, das Roboterauto auch Realität werden zu lassen. Ein Ergebnis: Die ersten Nutzer werden keine Privatkunden sein. Als erstes werden solche Unternehmen die Technologie einsetzen, die für ihr Geschäft heute noch viele Fahrer brauchen. Mobilitätsdienste mit ihren Kleinbussen zum Beispiel, wie MOIA bei Volkswagen. Und die richtige Hardware dazu kommt von uns. Wir hier bei VW Nutzfahrzeuge in Hannover entwickeln und bauen Autos für diese Kunden. Durch Automatisierung lassen sich bei Mobilitätsdiensten rund 50.000 Euro pro Jahr und Fahrzeug einsparen. Für diese Firmen rechnet es sich deswegen zuerst, die teure Technologie einzusetzen. Einige Kunden fragen heute schon danach. Nachdem wir bei VWN die Ersten im Volkswagen Konzern sind, die autonome Fahrzeuge auf den Markt bringen werden, sind wir auch die logische Heimat, um ein Fahrzeug mit dieser Technologie zu entwickeln.

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Und dabei wollen Sie unter anderem mit der Ford-Tochter Argo AI kooperieren?
Genau. Wir wollen mit der Ford-Tochter Argo ein gemeinsames Unternehmen mit dem europäischen Hauptsitz in München bilden. Hier wird unsere Kernmannschaft für das SDS arbeiten. Das ist das so genannte „Self Driving System“ – also die notwendige Technik für die Entwicklung des Roboterautos.

Was hat Volkswagen von einer Partnerschaft mit Argo?
Das ist für uns eine technische Beschleunigung und darum für VW Nutzfahrzeuge besonders wichtig. Argo ist eines der weltweit führenden Tech-Unternehmen in der Entwicklung des autonomen Fahrens. Damit haben wir den idealen Partner, mit dem wir unsere Robotaxis bei VWN entwickeln können. Wir haben damit Zugang zu den besten Technologieexperten weltweit. In enger Zusammenarbeit mit Argo und der neu gegründeten Volkswagen Autonomy planen wir, bei VWN die weltweit besten autonom fahrenden Autos entwickeln und bauen zu können.

Sie sprachen von den hohen Kosten bei der Entwicklung. Wie kommen die zustande?
Das Fahrzeug selbst ist nicht teuer, aber die angesprochene SDS-Technik. Das liegt beim autonom fahrenden VW Golf derzeit noch im sechsstelligen Bereich. Die Entwicklung zum Roboterauto muss man sich vielschichtig vorstellen. Da ist zum einen die Sensorik, die in der Lage sein muss, die Umwelt um das Fahrzeug herum wahrzunehmen. Das System muss planen und entscheiden, welche Bewegungen ausgeführt werden. Dann muss das alles auch noch umgesetzt, also Befehle an Bremsen, Antrieb oder Steuerung gegeben werden. Dieses Sehen und Verstehen ist entscheidend. Das ist das eigentliche Robotersystem. Das alles muss in ein Fahrzeug integriert werden – und es muss zudem vor allem sicher sein. So gibt es zum Beispiel immer ein paralleles System, das übernimmt, wenn etwa ein Lenksystem ausfällt.

Und wie weit sind wir von einer flächendeckenden Einführung solcher Systeme entfernt?
Sie haben da schon das richtige Wort gesagt: flächendeckend. Das ist der Knackpunkt. Manche Wettbewerber sprechen jetzt schon von kommerziellen Einsätzen bei Roboterautos. Aber was wir auf absehbare Zeit sehen werden, ist für mich noch kein kommerzieller Einsatz, der wirtschaftlich ist. Da fahren Autos eine relativ kleine Anzahl von Routen und die Kunden zahlen nur einen Bruchteil der wahren Kosten. Solange das so ist, wird man das nicht skalieren können. Wir lernen aber natürlich von solchen Einsätzen, sie sind notwendig und wichtig, auch um die Akzeptanz zu erhöhen. So wird Ende 2022 ein autonomer Shuttle-Service von Volkswagen in Katar an den Start gehen – auf der Basis unseres kommenden Elektro-Bullis, dem ID. BUZZ.

Sie bieten gemeinsam mit MOIA Mobilitätsdienste in Hamburg und Hannover an, aber immer noch mit Fahrer. Was bringt das heute?
Der Betrieb einer solchen Mobilitätsflotte ist komplex. Vielleicht komplexer als wir anfangs gedacht hatten. Da haben wir mit MOIA in den vergangenen Jahren eine Menge gelernt. Damit das wirtschaftlich wird, muss man diesen Service wirklich von der Pike auf verstanden haben. Wir sehen uns die gesamte Wertschöpfungskette an: Wie geht das elektrische Laden am wirtschaftlichsten? Wie und wo wird das Personal eingesetzt? Welche Anforderungen gibt es an die Shuttle-
Fahrzeuge? Wer sich einer solchen Detailarbeit nicht unterzieht, der wird niemals einen perfekten Mobilitätsservice anbieten können.

Wie können denn Dienste wie MOIA und Co. dabei helfen, den Innenstadtverkehr zu entlasten?
Die Straßen in Hamburg, München oder Berlin sind jetzt schon sehr voll. Zusätzliche Taxis, in denen ein Kunde allein fährt, wären da keine gute Alternative zu U- oder S-Bahn. Das gibt nur noch mehr Staus, da hilft auch die smarteste Computersteuerung nicht. Mobilitätsdienste der Zukunft werden darum autonome Kleinbusse und Vans oder Kleintransporter anbieten, um Fahrten und Transporte möglichst effizient zu teilen und zu planen.

Das sagen Sie, weil das Ihr Konzept bei Volkswagen ist?
Umgekehrt: Wir setzen auf dieses Modell, weil wir das für das zukunftsträchtigste Geschäftsfeld für autonome Mobilität halten; neben dem Verkauf der Autos natürlich. Für MOIA etwa ist es eigentlich eine Voraussetzung, um wirklich profitabel zu werden. Damit so ein Auto aber mehr Umsatz generiert als es kostet, muss es schon viel können. Einfach die Hauptstraße rauf und runter zu fahren bringt nichts.

Wir als Hersteller müssen garantieren, dass die Autos sicher sind und dass wir die Systeme verstehen.
Wenn es um den Straßenverkehr geht, dürfen wir uns nicht auf eine Black Box verlassen.

Also sind Sie sicher, dass die selbstfahrenden Autos kommen werden?
Daran glaube ich, das ist unser Plan. Aber ich weiß, dass es viele Zweifler gibt. Es ist ja auch einfach, eine neue Technologie zu verteufeln. Gerade wenn es um das Thema Arbeitsplätze geht, weil der Roboter den Menschen bei bestimmten Aufgaben ersetzt. Wir werden also einen Gesetzesrahmen brauchen, der auf einer breiten gesellschaftlichen Basis steht. Es wird Unfälle geben, es wird weiterhin Menschen geben, die sich nicht an Verkehrsregeln halten, und wir müssen entscheiden, wie der Roboter sich dann verhält. Da braucht es klare Vorgaben wie diese Entscheidungsregeln aussehen.

Es ist also noch ein weiter Weg, politisch wie technologisch. Was ist denn aus Ihrer Sicht die größte Hürde?
Es ist einfach unglaublich schwer, den Menschen als Entscheider aus dem System rauszunehmen, weil der Mensch durch seine Instinkte bestimmte Dinge richtig macht. Computer sind sehr gut und dem Menschen weit überlegen, wenn es um wiederkehrende und bekannte Abläufe geht. Aber der Mensch kann viel besser auf unerwartete Situationen reagieren. Ein Computer erkennt nicht unbedingt, ob das, was vor ihm auf der Straße liegt, ein Stück Alufolie oder ein Brocken Hartmetall ist. Das Antizipieren, wie sich andere Verkehrsteilnehmer verhalten, ist auch so eine Sache: Wenn jemand bei Rot über die Ampel fährt, reagiere ich als Mensch instinktiv, und oft richtig.

Gilt das auch für die Entwicklung solcher Systeme? Da ist ja oft von selbstlernenden Maschinen die Rede?
In der Entwicklung verwenden wir natürlich Lernalgorithmen. Das fertige System darf sich aber nicht kontinuierlich selbst verändern. Sonst kann man das als Unternehmen nicht mehr kontrollieren. Die Technologie muss mit der Vielzahl an komplexen Situationen im Straßenverkehr sehr gut umgehen können. Es mag Unternehmen geben, die sagen, das Auto wird besser, wenn es selber lernt. Aber wir als Hersteller müssen ja garantieren, dass die Autos sicher sind und dass wir die Systeme verstehen. Ich halte das für den besseren Weg. Wenn es um den Straßenverkehr geht, dürfen wir uns nicht auf eine Black Box verlassen.

Dr. Wolfgang Eckelt, High Performance | Top Company Guide