Im Dialog mit Matthias Tonn
Das berühmte „Pony Car“ ist jetzt bereit für die elektrifizierte Zukunft.
Mit dem Mustang Mach-E, einem 5-türigen Crossover-SUV, präsentiert der Konzern eine rein elektrisch angetriebene Modellvariante.
Herr Tonn – leitender Chefingenieur für Importfahrzeuge bei Ford Europa: Was verbirgt sich genau hinter diesem Titel, was sind Ihre Aufgaben?
Ich darf etwas weiter ausholen: Ford versteht sich als global agierendes Unternehmen. Insofern ist es konsequent, dass erfolgreiche Baureihen nicht nur da angeboten werden, wo sie entwickelt wurden, sondern möglichst weltweit. Daher verkaufen wir zum Beispiel den Ford Transit, ein leichtes Nutzfahrzeug, nicht nur in Europa, sondern unter anderem auch in Nordamerika. Umgekehrt haben wir uns vor ein paar Jahren dazu entschlossen, amerikanische Ikonen auch in Europa und in anderen Weltregionen anzubieten – angefangen mit dem Mustang 2015, gefolgt vom Edge 2016, dem Explorer Plug-in-Hybrid im Jahre 2019 und nun in wenigen Wochen dem batterie-elektrischen Ford Mustang Mach-E.
Im Sommer 2020 gründete Ford Europa im Zuge einer Neu-Organisation seiner Geschäftsfelder drei eigenständige Bereiche: einen für Pkw, einen für Nutzfahrzeuge und einen für Import-Fahrzeuge, dem ich angehöre. Im Mittelpunkt dieser Import-Organisation, steht die zügige und auf den Kunden fokussierte Einführung von nicht-europäischen Erfolgsmodellen nach Europa. Ich bin innerhalb dieser Import-Organisation als Chief Program Engineer für den europäischen Entwicklungsanteil der Importfahrzeuge verantwortlich.
Das bedeutet: Für Europa achten mein Team und ich vor allem auf die legalen, sicherheitstechnischen und homologationsrelevanten Entwicklungsinhalte und wir steuern auch die entsprechende Abstimmung mit den Entwicklungsteams von Ford in Nordamerika.
Wir haben dabei die europäischen Kunden besonders im Blick, da es klare Unterschiede in den Ansprüchen und in den Erwartungen zwischen Autokäufern in Nordamerika und Europa gibt.
Ein gerne genanntes Beispiel sind höhere Geschwindigkeiten auf deutschen Autobahnen. Während in den USA in der Regel nicht schneller als 65 bis 80 Meilen gefahren werden darf, also maximal rund 130 km/h, ist es auf deutschen Autobahnen nicht unrealistisch, auch wesentlich höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Das hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf das Fahrwerk, die Lenkung, die Bremsen und das Geräuschverhalten – diese Parameter und etliche andere müssen wir entsprechend den europäischen Kundenerwartungen anpassen. Auch sind sehr enge und kurvenreiche Straßen, wie sie zum Beispiel in manchen britischen Landesteilen üblich sind, in den USA nicht üblich. Da haben unsere europäischen Fahrwerksexperten das entsprechende Know-how und lassen es zum richtigen Zeitpunkt in den Entwicklungsprozess einfließen. Wenn ich auf die Produkte wie Mustang, Mustang Mach-E, Edge und Explorer schaue, ist uns die Anpassung dieser Baureihen an die europäischen Kundenwünsche und an die europäischen Rahmenbedingungen recht gut gelungen.
Der neue Mustang Mach-E kommt aus den USA. Welche Rolle spielte die Produktentwicklung in Europa dabei?
Das, was ich gerade über die Besonderheiten für Europa sagte, haben wir natürlich auch für den Mustang Mach-E berücksichtigt. Beim Mustang Mach-E kam aber noch ein großer, neuer Aspekt hinzu, nämlich die sehr komplexe Software für die Steuerung der vielen Fahrzeugfunktionen verbunden mit der Einführung der nächsten, vierten Generation des Kommunikations- und Entertainmentsystems Ford SYNC sowie alle Aspekte rund um die Themen Batterie und Reichweite. Da galt es viele Besonderheiten zu beachten, schon alleine wegen der unterschiedlichen Sprachen in Europa, der Vielzahl an Ladestationen-Betreiber, unterschiedlicher ISO- und DIN-Protokolle und vieles mehr. Die große Herausforderung war für uns, dass beim Serienanlauf wirklich alles funktioniert und passt – dieses Ziel haben wir in enger Abstimmung mit den amerikanischen Kollegen erreicht, denn das eigentliche Mustang Mach-E-Entwicklungsteam sitzt ja auf der anderen Seite des Atlantiks.
Der Kunde steht für Sie im Fokus, sagten Sie. Wie können Sie „Ihre“ Produkte auf den europäischen Kunden zuschneiden?
Zunächst geht es um den rechtlichen Rahmen, Stichwort Typgenehmigung, den wir erfüllen müssen, um eine in den USA federführend entwickelte Baureihe in Europa zugelassen zu bekommen – es geht also zum Beispiel um die hier in Europa gültigen Emissionsvorgaben und Crashtest-Kriterien.
Die Regularien bezüglich aktiver und passiver Sicherheit unterscheiden sich zum Teil deutlich zwischen den USA und Europa.
In einem zweiten Schritt analysieren wir die Kundenwünsche. Ein europäischer Mustang-Kunde ist mit dem Mustang-Kunden aus Kalifornien im Prinzip vergleichbar. Beide wollen vor allem ein Auto, das für sie für Freiheit und Unabhängigkeit steht. Dennoch gibt es Unterschiede – wie und wo fahre ich das Auto, wie parke ich es, wie benutze ich es. Diese Aspekte ermitteln wir und versuchen, sie bestmöglich in die Entwicklung einfließen zu lassen. Natürlich ist das kein Wunschkonzert und das Produkt, in diesem Beispiel der Ford Mustang, soll ja auch für europäische Kunden eine amerikanische Ikone bleiben. Da müssen der Kundennutzen, die Kosten und die Komplexität Punkt für Punkt hinterfragt werden. Das ist alles sehr spannend, ganz besonders wenn man sich nicht nur mit einer Baureihe auseinandersetzt, sondern zur gleichen Zeit mit mehreren verschiedenen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Da kommt einiges zusammen.
Was bedeutet der neue Mustang Mach-E für Sie persönlich und für Ford in Europa?
Der Mustang Mach-E bedeutet für Ford Europa, aber auch für mich persönlich einen ganz besonderen, großen Schritt. Zunächst ist der Mach-E das erste voll-elektrische Fahrzeug von Ford, das auf einer eigenständigen Plattform für E-Fahrzeuge entwickelt wurde. Zudem ist der Mach-E aufgrund seiner Attribute so sportlich, dass die Ford-Familie ihm den Namen Mustang gegeben hat.
Der Mustang ist weltweit das bekannteste Auto mit den meisten Fans. In anderen Worten: Das berühmte „Pony Car“ ist jetzt bereit für die elektrifizierte Zukunft. Mit dem Mustang Mach-E, einem 5-türigen Crossover-SUV, präsentiert der Konzern eine rein elektrisch angetriebene Modellvariante. Sie wird von der gleichen Sehnsucht nach Freiheit, Fortschritt und famosen Fahrleistungen geprägt wie der legendäre Sportwagen, der 1964 auf den Markt kam. Nach knapp 20 Jahren als Chief Program Ingenieur, in denen ich schnelle, kleine und große Autos für die Welt führend mitentwickeln durfte, ist das schon etwas ganz Besonderes.
Wie beurteilen Sie die Marktchancen / Wachstumsperspektiven für die großen SUVs aus Amerika wie zum Beispiel den Explorer PHEV für den europäischen Markt?
Der Explorer ist ein Erfolgsmodell, das zumindest in den USA auf eine lange Tradition zurückblicken kann: Die Markteinführung der ersten Explorer-Generation im Jahre 1990 war Auslöser des SUV-Trends in Nordamerika. Seitdem hat Ford weltweit insgesamt über acht Millionen Explorer verkauft, davon sind noch rund 3,5 Millionen in aller Welt unterwegs. Bis heute ist die Explorer-Baureihe das meistverkaufte SUV Nordamerikas.
Wir besetzen mit dem Explorer Plug-in-Hybrid ein klar definiertes Segment, das seine Fans hat: Hier in Europa ist der Ford Explorer das neue Top-Modell der europäischen SUV-Familie von Ford. Das Fahrzeug überzeugt mit fortschrittlicher Plugin-Hybrid-Technologie, sieben Sitzen, einer luxuriösen Serienausstattung, einem modernen 10-Gang-Automatikgetriebe. Hinzu kommen ein, wie ich finde, sehr gelungenes Design und ein nicht zu unterschätzender Coolnessfaktor. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir den neuen Explorer nach Europa gebracht haben. Meinem kleinen Sohn und seinen Freunden erzähle ich immer, dass der Explorer der Wagen ist, den Captain America fährt. Die finden das mega cool.
Werden in diesem Jahr noch weitere US-Fahrzeuge von Ford nach Europa kommen?
Wir haben mit dem Mustang Mach-E in der Tat noch nicht das Ende der Fahnenstange bei den Importfahrzeugen erreicht. Wir kommen im Frühjahr mit dem Mustang Mach 1 auf den Markt – es ist übrigens das allererste Mal in der erfolgreichen Mustang-Historie, dass Ford den Mach 1 auch in Europa anbietet. Der Mach 1 führt damit eine Tradition fort, die bis in die 1960er- und 1970er-Jahre zurückreicht. Zum Ende des Jahres ist dann der rein batterie-elektrische Mustang Mach-E GT angekündigt, und der ist mit seinen Beschleunigungs- und Leistungsdaten im Super-Sportwagensegment angesiedelt.
Mit weiteren Produkten, die wir für die Zukunft planen – und über die ich hier nicht sprechen kann – sind wir überzeugt, das Volumen der Ford-Importfahrzeuge entsprechend zu steigern und einen signifikanten Beitrag zur Profitabilität von Ford Europa leisten zu können.
Werden wir in 15 Jahren ausschließlich Elektrofahrzeuge fahren?
Aus meiner Sicht werden wir auch in 15 Jahren noch ein Nebeneinander verschiedener Fahrzeugtypen und Antriebskonzepte erleben. Zum einen wird der Anteil der Elektrofahrzeuge stark wachsen und dadurch neue Dimensionen erreichen. Zum anderen aber wird es auch künftig Kunden geben, die sich zum Beispiel für ein Mustang Cabriolet mit Fünf-Liter-V8-Motor begeistern.