Im Dialog mit Arndt G. Kirchhoff
Ich glaube, dass gerade der Maschinenbau so flexibel ist, dass er sich auf den nächsten Aufschwung mit dann noch besserem technischem Angebot vorbereitet.
Insbesondere die Auto- und Maschinenbauer sind von der Corona-Krise stark getroffen. Der Branchenverband warnt vor einem Kahlschlag, sofern die Nachfrage nicht anspringt. Wie stark ist die Automobilzulieferindustrie von der aktuellen Krise wirklich betroffen?
Man muss die verschiedenen Ursachen unterscheiden. Zum einen die notwendige Restrukturierung, die es in der Transformation erforderlich macht, das Geschäftsmodell, den Footprint, strategisch zu überprüfen. Zum anderen sind wir seit Sommer 2018 nach langem Aufschwung in der Rezession und zum dritten hat die Pandemie zu starken Nachfrageausfällen, insbesondere in den Monaten März bis Mai geführt. Die Nachfrageausfälle werden auf das Jahr bezogen 20 bis 25 Prozent ausmachen, die wir nicht mehr aufholen können. Mittlerweile hat sich die Auftragslage aber weitgehend normalisiert und das Instrument der Kurzarbeit hat dafür gesorgt, dass die Belegschaften im Wesentlichen noch an Bord sind.
Der Maschinenbau ist zyklisch immer in einer Rezession rückläufig und durch die Pandemie zusätzlich durch Investitionsstopps in den Unternehmen betroffen. Ich glaube, dass gerade der Maschinenbau so flexibel ist, dass er sich auf den nächsten Aufschwung mit dann noch besserem technischem Angebot vorbereitet.
Die deutsche Automobilindustrie ist global aufgestellt und baut auf internationalen Lieferketten auf. Bei geschlossenen Grenzen war diese Branche daher sehr anfällig, Lieferketten wurden unterbrochen, Bänder standen still. Wie beurteilen Sie die Lage nach den Erfahrungen in der Corona-Zeit?
Deutschland ist wie kein anderes Land auf offene Grenzen und den internationalen Handel angewiesen. Die deutsche Automobilindustrie ist hierbei auch schon lange nicht nur Exporteur, sondern weitgehend in den Weltmärkten lokalisiert, mit eigenen Werken und entsprechenden Zuliefererstrukturen. Gerade diese Aufstellung ermöglicht es, Lieferketten eher regional zu organisieren und zu optimieren.
Insbesondere mit Blick auf Europa glaube ich nicht, dass die kurzfristig geschlossenen Grenzen das Ziel, den Binnenmarkt noch stärker und besser funktionsfähig zu machen, verändern. Im Gegenteil wird Europa alles daransetzen, dass die Grenzen offenbleiben und der Binnenmarkt noch weiter harmonisiert wird, um als Wirtschaftsregion gegenüber Asien und Amerika konkurrenzfähig zu bleiben.
Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich. Natürlich müssen alle Unternehmen, die schwerpunktmäßig an Verbrennungsmotoren, Abgasanlagen, Tankanlagen, Getrieben usw. arbeiten, versuchen, das Produktprogramm schrittweise zu verändern, aber es gibt auch viele Chancen im Rahmen der Batterie- und Brennstoffzellentechnologie sowie der Leistungselektronik und der Umstellung vieler Aggregate, die bisher nicht kompatibel zur E-Mobilität waren.
Ich warne allerdings vor Panik, denn zurzeit sind etwa 1,4 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotoren auf der Welt im Einsatz. Bis die Infrastruktur überall auf der Welt auf die neue Mobilität mit grünem Strom, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen umgestellt ist, vergehen noch einige Jahrzehnte. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles nur durch die deutsche bzw. europäische Brille sehen, wo wir zur Erreichung der Klimaziele eine höhere Geschwindigkeit aufgenommen haben.
Allerdings wird das auch nur funktio-nieren, wenn synchron auch in Europa und Deutschland die Infrastruktur bereitsteht. Momentan sind wir hier sehr weit zurück und die Politik muss sich etwas einfallen lassen, wenn sie einerseits sehr ehrgeizige Ziele beschließt, andererseits aber die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Infrastruktur nicht einhalten kann.
Bis die Infrastruktur überall auf der Welt auf die neue Mobilität mit grünem Strom, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen umgestellt ist, vergehen noch einige Jahrzehnte.
Der Strukturwandel hat Auswirkungen auf die Belegschaft. In der deutschen Automobilindustrie drohen laut Studien bis zu 410.000 Arbeitsplätze potenziell in Gefahr zu sein. Wie stark sind die Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie gefährdet?
Die bisherigen industriellen Revolutionen 1 bis 3 haben im Ergebnis immer mehr Arbeitsplätze geschaffen, als es vor den jeweiligen Technologiesprüngen gegeben hat. Warum soll das nicht auch in der 4. industriellen Revolution, der sogenannten digitalen Revolution, der Fall sein? Im Zusammenhang mit den vier Kernfeldern der neuen Mobilität C-A-S-E, Connectivity, Automatisiertes Fahren, Share-Modelle und neue Antriebe, gibt es schon heute viele neue Arbeitsplätze.
Übereinstimmend gehen alle Studien davon aus, dass Arbeitsplätze bei den verbrennerabhängigen Komponenten wegfallen und dass sich in Summe etwa 50 Prozent der Arbeitsplätze verändern. Neben den digitalen Geschäftsmodellen gibt es aber auch neue Arbeitsplätze im Rahmen der Transformation, die weiterhin wertschöpfend tätig sein werden.
In Deutschland nehmen schon lange in Folge zunehmender Automatisierung die Produktionsarbeitsplätze ab, wobei gleichzeitig die Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung, Steuerung von Projekten und Dienstleistungen zunehmen.
Die Zulieferindustrie bildet eine wichtige Säule in der deutschen Wirtschaftsstruktur. Nicht selten sind Zulieferer auch in sonst strukturschwachen Gebieten ansässig. Was bedeutet der Umstieg auf Elektromobilität für diese Regionen? Worauf müssen wir uns einstellen?
Gerade die deutsche mittelständische Industriestruktur – davon sind über 90 Prozent als Familienunternehmen geführt – war schon immer sehr flexibel und schnell anpassungsfähig. In unserem System der dualen Ausbildung stellen sie die große Mehrheit der Auszubildenden und leisten auch den überwiegenden Anteil der Wertschöpfung und der Steuern. Selten ist Industrie in Großstadtnähe anzutreffen und das passt auch zunehmend weniger zu den Nachhaltigkeitsstrategien, die die Unternehmen verfolgen.
Zulieferer, insbesondere aus dem deutschen Mittelstand, haben ihre eigenen Netzwerke oft in entlegenen Regionen, die aber seit Jahrzehnten hochleistungsfähig sind. Das erklärt auch, warum etwa die Hälfte der Hidden Champions aller mittelständischen Unternehmen weltweit aus Deutschland kommt.
Die Autobauer bündeln die Kräfte im Strukturwandel durch Kooperationen und Zusammenschlüsse. Sehen Sie Konzentrationsprozesse auch als ein probates Mittel für die Zulieferindustrie?
Um die typischen Grenzen des Mittelstands bei Personal und Kapital zu überwinden, beobachten wir seit etwa drei Jahrzehnten eine verstärkte Zusammenarbeit in Kooperation und Netzwerken. Auch Kompetenzzentren in Zusammenarbeit mit der hervorragend ausgeprägten Forschungs- und Hochschullandschaft sind in Deutschland mehr und mehr zu beobachten. Dies gilt auch für die Start-up-Szene in Berlin, München oder im Ruhrgebiet.
Die Automobilbranche war einst die attraktivste Branche bei der Berufswahl von High Potentials. Mit dem Dieselskandal hat das Image der ganzen Branche stark gelitten und auch die Zulieferindustrie ist von diesem Attraktivitätsverlust betroffen. Was gilt es speziell in der Zulieferindustrie zu tun, um die für die digitale Unternehmenstransformation so wichtigen IT-Experten für diese Branche wieder zu begeistern?
Ich glaube, es ist nicht so sehr der Dieselskandal, der zu einem Attraktivitätsverlust geführt hat, mit dem die Zulieferer ja gar nichts oder nur indirekt zu tun hatten. Das zeitweise Festhalten der Branche am Verbrennungsmotor wird in der Öffentlichkeit oft als innovationsfeindlich gesehen. Kreative in allen Bereichen, nicht nur in der IT, wollen die Zukunft entwickeln und für manche ist daher fälschlicher Weise die Automobilindustrie nicht mehr ihre erste Wahl. Tatsächlich müssen wir deutschen Zulieferer in der Öffentlichkeit deutlicher machen, dass wir bereits jetzt die Zukunft entwickeln, zum Beispiel mit mehr Patenten für das autonome Fahren als in irgendeinem anderen Land der Welt. Auch wenn es um den Antriebsstrang geht, verfolgen wir gleichzeitig verschiedene innovative Wege, weil die Anwendungen auch unterschiedlich sind. Wir selbst haben in 2020 mit FAUN das erste mit Wasserstoff angetriebene Abfallsammelfahrzeug auf den Markt gebracht, vor allen großen Herstellern; natürlich auch mit völlig neuen digitalen Möglichkeiten für eine optimale Routenplanung. Darüber müssen wir sicherlich mehr reden, dass man mit uns Zulieferern wirklich jetzt schon an der Zukunft arbeiten kann.
Die Corona-Krise gilt als Beschleuniger für die digitale Unternehmenstransformation. Wie bereiten Sie in Ihren Unternehmen die Führungsmannschaften und die Belegschaften auf die digitale Unternehmenstransformation vor?
Mit unserer digitalen Agenda stellen wir sicher, dass wir die Chancen der Digitalisierung strukturiert und nachhaltig nutzen. Im Fokus steht dabei, durch Innovationskraft eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und den Anforderungen an die Arbeit von morgen gerecht zu werden. Dazu gehört insbesondere auch, dass wir den Wandel zusammen mit unseren Mitarbeitenden aktiv gestalten, regelmäßig darüber informieren und Workshops und Weiterbildungen durchführen. So können wir Technologie gleichermaßen nutzen, um dem Qualifizierungs- und Anpassungsbedarf gerecht zu werden und die Arbeitsplätze der Zukunft so ergonomisch und effizient wie möglich zu gestalten.