HIGH ENERGY

Dr. Andreas Gorbach
Technologievorstand, Daimler Truck AG

Ein Staudamm hat für mich immer zwei Gesichter. Auf der einen Seite pure Idylle, auf der anderen der tiefe Abgrund. Dazwischen eine schmale Mauer. Auf der ich heute mit einem Lkw fahren soll. Obwohl die Kraft des Wassers schon seit 1926 gegen diese Mauer drückt?

Nur Mut! Den beweist auch mein Gesprächspartner von Daimler Truck mit seiner Strategie, zweigleisig in die Zukunft zu fahren: mit einem batterieelektrischen Modell und dem Wasserstoff-Truck. Beide darf ich heute kennenlernen mit Dr. Andreas Gorbach, Mitglied des Vorstands der Daimler Truck Holding AG, verantwortlich für Truck Technology.

Eine schöne Strecke. Auf meiner Fahrt von Stuttgart zur Schwarzenbach-Talsperre, dem idealen Treffpunkt für mein heutiges Gespräch, fahre ich vorbei an vielen kleineren Orten mit sorgfältig hergerichteten Fachwerkhäusern, blankgefegtem Ortskern und idyllischen Landgasthöfen.

Und ich denke nach. Die Politik spricht ja viel davon, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Doch hier im schönen Schwarzwald ist der nächste Güterbahnhof weit entfernt. Supermärkte und Hotels werden mit Lkw beliefert. Der Verteilerverkehr wird bleiben. Punkt.

Und hier kommt dann der elektrische eActros ins Spiel? Naja, zum Beispiel von Stuttgart eine Auslieferungsrunde zwischen Kornwestheim bis Degerloch, das klappt bestimmt gut. Und auf der Langstrecke mit 40 Tonnen quer durch Europa punktet Daimler Truck dann mit Wasserstoff … Welchen Vorteil hatte Flüssigwasserstoff im Gegensatz zum »üblicheren« gasförmigen? Und habe ich nicht eben noch eine Meldung gelesen, dass der eActros als LongHaul auch auf der Langstrecke mit etwa 500 km Reichweite glänzen soll? Da frage ich gleich nochmal nach.

Doppelstrategie beim Co2-neutralen Transport der Zukunft: Der Brennstoffzellen-Lkw Mercedes-Benz GenH2 Truck und der batterieelektrische Mercedes-Benz eActros im Schwarzwald.
Dr. Wolfgang Eckelt, Herausgeber des Top Company Guide, im Gespräch mit Dr. Andreas Gorbach, Technologievorstand bei Daimler Truck.

Trucks you can trust
Am tiefblauen Stausee treffe ich meinen Gesprächspartner für den heutigen Tag Dr. Andreas Gorbach, Mitglied des Vorstands der Daimler Truck Holding AG und verantwortlich für Truck Technology. Er steht gutgelaunt bei zwei imposanten Trucks. Beide futuristisch und faszinierend, wie der innovative und erstaunliche Ansatz für die Truck-Zukunft.

Zeitenwende
Gottlieb Daimler hätte seine Freude daran, wie sein moderner Innovationsgeist heute bei Daimler Truck weitergeführt wird: Wenn die Ansage lautet, CO2 einzusparen, dann macht sich der Daimler-Nachkomme eben daran, die allerbeste Lösung für die Kunden zu entwickeln.

Und die allerbeste Lösung sind in diesem Fall zwei Lösungen. Denn so unglaubwürdig die Worte batterieelektrisch und Truck im ersten Moment zusammen klingen, so passend wird die Sache, wenn man wie beim eActros eben nicht eine, sondern drei bis vier Batteriepakete in ein Fahrzeug verbaut und mit diesem Fahrzeug bis zu 400 km weit fährt ohne Ladestopp. So wird es zum attraktiven Angebot an den Verteilerverkehr, der über Nacht im eigenen Betriebshof laden kann.

Weiter. Mit Wasserstoff
Auf der Langstrecke ist das Thema batterieelektrischer Antrieb natürlich irgendwann ausgespielt und weniger praktikabel. Um dem hohen Anspruch des Firmengründers auch nach über 100 Jahren gerecht zu werden, entwickelt Daimler Truck für die Langstrecke den wasserstoffgetriebenen Lkw. Und wer jetzt denkt, Wasserstoff, ist ja auch nicht unproblematisch, der kennt den Forschergeist im Hause Daimler Truck schlecht. Aber eins nach dem anderen.

Charged & Ready
Der eActros ist keine Zukunftsmusik mehr, er ist seit 2021 auf dem Markt und findet immer mehr Fans. Auch wir steigen ein. Beim imposanten Blick von oben auf die Straße kommt »King of the road«-Feeling auf. Der Daimler Truck Vorstand startet den Motor und ich blicke verdutzt zu ihm rüber, als der Koloss sich in Gang setzt. Ganz still ist es. Angenehm.

Charged & Ready: der batterieelektrische Mercedes-Benz eActros auf der Schwarzenbach-Talsperre.

»Wir haben den eActros viele Tausend Kilometer von Logistikunternehmen testen lassen, bevor er in die Serienfertigung ging. Zuerst waren die Fahrer natürlich skeptisch, nach den ersten Fahrten aber richtig begeistert von der Ruhe in der Kabine: eben kein Diesel-Erdbeben, stattdessen direkter und kraftvoller Antrieb von der ersten Sekunde an – plötzlich wollte jeder als Erster einen eActros haben«, erzählt mir Andreas Gorbach zwinkernd.

Ich nicke zustimmend und genieße das Dahingleiten. Doch trotz aller Vorteile beim Fahrzeug müssen sich Unternehmer den Umstieg zur komplexen E-Mobilität sehr genau überlegen, Stichwort Ladeinfrastruktur.

Und genau hier setzt Daimler Truck an: »Wir verkaufen nicht nur Trucks. Wir helfen unseren Kunden und Kundinnen dabei, den Schritt in die E-Mobilität erfolgreich zu schaffen – denn der ist alles andere als einfach. Das haben wir verstanden. Deshalb bieten wir mit unserem eConsulting heute schon maßgeschneiderte Lösungen an«, erläutert Gorbach.

Daimler Truck eConsulting
Das eConsulting umfasst drei wichtige Schritte zur reibungslosen Integration von E-Mobilität in Unternehmen: Am Anfang steht die Streckenanalyse: Experten von Daimler Truck prüfen, ob sich der eActros für die täglichen Anforderungen bezüglich Entfernungen, Topografie, Ladung etc. eignet. Zweites Thema ist die Ladeinfrastruktur inklusive der nötigen Soft- und Hardwarelösungen. Anhand der identifizierten Maßnahmen werden alle damit verbundenen Kosten und mögliche Förderungen aufgeschlüsselt, analysiert und optimiert. Schließlich kann die Integration der notwendigen Prozesse in den Betrieb starten, inklusive von Schulungen der Fahrer und Mitarbeiter.

Je nach Anwendungsfall, vorhandener Infrastruktur, Energieverfügbarkeit und Subventionen ist mal Batterie, mal Wasserstoff die bessere Lösung für unsere Kunden. Deshalb machen wir beides!

Batterietechnologie: anders als im Pkw
Gleiche Regeln für alle! »Wir müssen und möchten uns mit dem Diesel messen, das ist klar. Deshalb müssen unsere E-Lkw die gleiche Lebensdauer haben wie ein Diesel. Dafür brauchen wir eine Batterietechnologie, die vor allem in Sachen Kosten und Langlebigkeit auch ideal zu den Anforderungen eines Trucks passt. Da hat die Lithium-Eisen-Phosphat-Technik (LFP) die Nase vorn – und darauf setzen wir zukünftig.

Der eActros für den Verteilerverkehr kommt mit einer Gesamt-Batteriekapazität von bis zu 448 kWh bis zu 400 km weit. Ein Ladestopp dauert zwischen einer und zwei Stunden, je nach Anzahl der Batterien. Und dass der eActros auch auf planbaren Routen langstreckentauglich ist, macht Daimler Truck mit der Variante LongHaul deutlich, die ab nächstem Jahr serienreif sein wird. Dann mit LFP-Batterietechnologie, etwa 500 km ohne Zwischenladen und einer beeindruckenden Ladeleistung von 20 auf 80 Prozent in deutlich unter 30 Minuten – Megawattladen vorausgesetzt.

Mit diesen Fakten kommen wir nach unserer Runde am Stausee entlang wieder zurück zu unserem Startplatz. Die Idylle ist berauschend und hier wird klar, wie naturnah Energiegewinnung sein kann. Das Wasserkraftwerk verwendet den Strom, der nachts übrigbleibt, um mit einer Turbine Wasser hinauf in den See zu pumpen. Wenn Strom benötigt wird, kann das Wasser wieder abgelassen werden und treibt die Turbine an, die Strom produziert. So einfach und harmonisch kann Nachhaltigkeit sein. Genau wie bei unserem Einstieg in den Wasserstoff-Prototypen, den Mercedes-Benz GenH2 Truck. Wir fahren los und man hört – fast nichts. Es ist ein unglaubliches Gefühl, dieses große Gefährt ohne großen Lärm zu bewegen, und als einzige Emission: Wasserdampf.

Die Flüssigwasserstoff-Tanks des Mercedes-Benz GenH2 Truck.
Steuert in die Zukunft: Daimler Truck Technologievorstand Dr. Andreas Gorbach am Steuer des Mercedes-Benz GenH2 Trucks.

Pioniergeist mit minus 253 Grad Celsius
Stolz berichtet mir Andreas Gorbach, dass wir hier mit einem besonderen Prototypen unterwegs sind. Wasserstoff kennen wir aus dem Pkw-Bereich, hier scheint die Sache schon recht komplex. Doch Daimler Truck macht es sich nicht einfacher: »Wir bevorzugen als Energiequelle den flüssigen Wasserstoff. Warum? Der hat in diesem Aggregatszustand eine deutlich höhere Energiedichte. Es kann also mehr Treibstoff transportiert werden, was wiederum die Reichweite erhöht. 1.000 km und mehr sind das Entwicklungsziel für die Serienproduktion. Nur so kommt der Wasserstoff-Truck an die Leistungswerte eines Diesel-Trucks heran. Und das ist auch hier Benchmark.«

Spannend: Der Wasserstoff muss auf minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt sein. »Wir entwickeln hier ein komplett neues Antriebssystem, das ist Pionierarbeit – und dafür brauchen wir die besten Experten: Zum Beispiel mit Linde arbeiten wir an einem neuen Betankungsverfahren für flüssigen Wasserstoff. Unser Ziel: Tanken wie mit Diesel – gleich schnell, gleich einfach«, so der Daimler Truck-Pionier zu mir.

Beeindruckend! Ein mutiger und innovativer Schritt in Richtung Zukunft. Und in diesem Augenblick fahren wir auf die Staumauer. Ich bin überzeugt: Mit so viel Mut zur Innovation gelingt die Transformation zum nachhaltigen Transport.

Im frischen Wind auf der Staumauer sprechen wir noch über die emissionsfreie Zukunft von Daimler Truck. Danke für diesen mutmachenden Tag!

Kandidaten lesen | Dr. Wolfgang Eckelt