Domenico Iacovelli
Schuler Group

Für Traditions­­unternehmen ist Agilität ohne Alternative

Domenico Iacovelli
Chief Executive Officer, Schuler Group

Wie viel Veränderung kann man einem der traditionsreichsten Unternehmen des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus zumuten, ohne dessen Zusammenhalt und Leistungsfähigkeit zu gefährden? Für Domenico Iacovelli, den Schweizer CEO des über 180-jährigen Pressenbauers Schuler Group mit Sitz in Göppingen, ist das die falsche Frage.

»Wenn die Herausforderung der Märkte groß ist und die Transformation sich nicht in Stellenabbau erschöpft, kann konsequente Veränderung die Belegschaft mitreißen, auch wenn sie vieles auf den Prüfstand stellt. Entscheidend sind zwei Qualitäten: Sie brauchen eine zukunftsfähige Vision für Ihre Produkte, die Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen begeistert«, erklärt der seit 2018 amtierende Topmanager. »Und: Aufrichtigkeit in der Kommunikation nach innen! Bei Schuler ist das die eine Kernbotschaft, die wir immer wieder mit unserer Belegschaft diskutieren: Transformation ist ein fortlaufender Prozess und keine Wegstrecke mit definiertem Anfang und Ende. Und erst die daraus resultierende Agilität macht unsere Unternehmenstradition zum Alleinstellungsmerkmal.« Über viele Jahrzehnte stand die Marke Schuler sinnbildlich für qualitativ hochwertige Pressenlinien aus Stahl und Eisen, oft bis zu 50 Meter lang und tonnenschwer. Kaum ein OEM, der auf Schuler-Technologie verzichten wollte, egal ob das eigene Werk in Deutschland, Amerika oder China stand. Genauso wie viele andere Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie mit Selbstverständlichkeit die kleineren Pressen und Maschinen mit dem blau-weißen Logo und dem dazugehörigen Service orderten.

Transformation als Zumutung mit Erfolgsfaktor
Dann, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts, gerieten die Märkte in Bewegung. Die Automobilhersteller und die gesamte Zulieferindustrie, getroffen vom Schock des gesellschaftlichen Wandels hin zur Nachhaltigkeit, lenkten ihre Investitionsbudgets um in Richtung Elektrifizierung. Die Investitionsbudgets der Kunden schrumpften. Gleichzeitig drängten Pressenhersteller aus Fernost und aus Südeuropa teilweise mit subventionierten Kampfpreisen und »Just-as-good-as-you-need-it«-Qualitäten in die heimischen Märkte. Die COVID-19-Pandemie beschleunigte nur noch die dramatischen Umbrüche auf der Angebots- und Nachfrageseite der Märkte.

»In solchen Situationen helfen Tradition und Erfolge der Vergangenheit allein nicht weiter«, sagt Schuler-CEO Iacovelli. »Wir haben deshalb mitten in der Transformation unserer Märkte dem Unternehmen seine eigene Transformation zugemutet – und das mit Erfolg.« Strategisch dabei im Mittelpunkt: die Rückbesinnung auf die technologischen Kernkompetenzen des Unternehmens, die Digitalisierung des Produktportfolios und der Unternehmensprozesse in Rekordzeit und der konsequente Rückbau der operativen Kostenbasis um mehr als 100 Millionen Euro. Damit hat Schuler bereits im Krisenjahr 2021 die Rückkehr zu deutlich positiven EBITA-Margen geschafft.

Entscheidend sind zwei Qualitäten: Sie brauchen eine zukunftsfähige Vision für Ihre Produkte, die Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen begeistert. Und: Aufrichtigkeit in der Kommunikation nach innen!

Pressen werden intelligenter
Immer noch, wenn auch an weniger Standorten, baut Schuler große und kleinere Pressen, mit denen Schuler-Kunden das Rohmaterial für Fahrzeug-Karosserien, Batteriegehäuse, weiße Ware oder auch Münzen in die gewünschte Form bringen.

»Den Unterschied, den Sprung in der Wertigkeit unserer Produkte für die Kunden macht aus, dass unsere Maschinen viel intelligenter geworden sind, miteinander kommunizieren, lernen, sich selbst zu analysieren«, sagt Rohitashwa Pant, Chief Digital Officer bei Schuler und zusammen mit CEO Iacovelli Architekt der Digitalisierungsstrategie. Seine vielfältigen Lösungen zur Vernetzung der Umformtechnik bündelt das Unternehmen in der neuen Digital Suite. Das digitale Produktangebot von Schuler spielt in den Verhandlungen mit Kunden eine immer wichtigere Rolle. Für Schuler-CEO Domenico Iacovelli sind derartige Wirkungsmechanismen die zentrale Rechtfertigung für die konsequente Digitalisierung des Pressenbauers.

FÜR TRADITIONSUNTERNEHMEN IST AGILITÄT OHNE ALTERNATIVE
FÜR TRADITIONSUNTERNEHMEN IST AGILITÄT OHNE ALTERNATIVE

»Wir sind deshalb mit der Digitalisierung so erfolgreich, weil wir sie nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument sehen, mit dem unsere Kunden ihre Stückkosten reduzieren, die Overall Equipment Efficiency erhöhen und den Output an Gutteilen optimieren können. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor unserer Transformation: Wir achten grundsätzlich, das heißt sowohl bei digitalen als auch bei analogen Angeboten und im Service, genau darauf, welchen Innovations- und Produktbedarf uns die Märkte widerspiegeln und letztlich auch bezahlen.«

Ein schwieriger Lernprozess für das stolze Ingenieursunternehmen Schuler sei dies gewesen, sagt Iacovelli. »Inzwischen verstehen aber die allermeisten, dass sich die beste und teuerste Technologie nicht allein deshalb verkaufen lässt, weil das traditionsreiche Schuler-Logo darauf steht.«

Turnaround steigert Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität
In Iacovellis Transformationsstrategie CORE ist die beschleunigte Entwicklung und Marktreife von Produktinnovationen nur einer von vier zentralen Erfolgsfaktoren. CORE führt Schuler zudem zurück auf seine Kernkompetenzen: Es konzentriert das Unternehmen darauf, in Produktion und Service je nach sektoralem und geografischem Markt Kundenlösungen mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis bei gleichzeitig guter Profitabilität anzubieten. Zudem sucht Schuler neue Wachstumschancen, die sich aus der Elektrifizierung von Wirtschaft und Mobilität ergeben.

Mit der Umsetzung dieses strategischen Ziels hat Schuler bereits 2019 begonnen. Mit dem »Local-for-Local«-Prinzip hat das Unternehmen seine relevanten Stärken geografisch da gebündelt, wo sie Kunden und Märkten am nächsten sind. Weitere zentrale Ansatzpunkte waren die Schließung der gefährlichen Lücke zwischen rückläufigem Auftragseingang und schnell steigenden Betriebskosten, der Abbau historisch gewachsener Doppelstrukturen in Produktion und Unternehmensorganisation, die Vermeidung von Over-Engineering und die Verbesserung der Kosten- und Zeitdisziplin im Projektmanagement.

Natürlich sind wir viel resilienter und agiler als noch vor drei Jahren. Trotzdem muss unsere Krisen- und Veränderungsbereitschaft hoch bleiben. Denn nur so können wir die Erfolgstradition von Schuler in die Zukunft fortschreiben.
»Diese und andere Umsetzungsschritte haben unser Unternehmen viel beweglicher und konkurrenzfähiger gemacht und die unverändert so starke Marke Schuler von ihrem Grauschleier der Behäbigkeit befreit«, erklärt der Unternehmens-CEO. Die inzwischen viel höhere Agilität von Schuler schlägt sich aber nicht nur in einer neuen Wahrnehmung des Unternehmens am Markt nieder, sondern auch in harten betriebswirtschaftlichen Fakten des Transformationsprozesses. So ist der Break-even Point des Konzerns zwischen 2019 und 2021 um gut 200 Millionen Euro gesunken. »Hinter diesen Managementbegriffen und Zahlen verbergen sich sowohl harte Arbeit auf Führungsebene als auch viele Zumutungen für unsere Belegschaften. Inzwischen akzeptieren aber die meisten von uns, dass unser frühes und konsequentes Handeln unter anderem entscheidend dafür ist, gut durch die Pandemiekrise hindurchzukommen«, ist Iacovelli überzeugt.
FÜR TRADITIONSUNTERNEHMEN IST AGILITÄT OHNE ALTERNATIVE

E-Opportunities als Wachstumstreiber
Mit Spannung blicken viele Schulerianer inzwischen auf die vierte und neueste Säule der CORE-Strategie, genannt »eCORE«. Ermutigt durch den weltweiten Trend zur Elektrifizierung von Mobilität und anderen Wirtschaftsprozessen baut Schuler kontinuierlich sein Angebot an Anlagen aus, mit denen die Automobilindustrie und ihre Zulieferer gleichermaßen filigrane wie hochbelastbare Komponenten für Elektroantriebe fertigen können. Gleichzeitig ist die Batterieproduktion ein wichtiger potenzieller Wachstumsmarkt, dessen weltweite Kapazität sich nach Schätzungen von McKinsey zwischen 2020 und 2030 fast vervierfachen wird.

»Sowohl im Antriebs- und Batteriebereich, aber auch da, wo es um den Einsatz von Wasserstoff im Wirtschaftsprozess der Zukunft geht, evaluieren wir die sogenannten E-Opportunities – also Wachstumsmöglichkeiten durch die horizontale und vertikale Integration unserer Kompetenzen und Partnerschaften«, kündigt Iacovelli an. Parallel dazu verankert Schuler den Weg zur Nachhaltigkeit des Wirtschaftens im eigenen Unternehmen. »Als einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung haben wir zu Jahresbeginn die Stromversorgung der gesamten Schuler Group Deutschland auf regenerative Quellen umgestellt. Weitere Entscheidungen werden folgen«, erklärt er.

Der Schuler-Chef, per April 2022 in Personalunion auch als Mitglied in den Vorstand der Konzernmutter ANDRITZ bestellt, lässt keinen Zweifel daran, dass die bisherigen Transformationserfolge seiner Amtszeit noch nicht reichen dürften, um den Verbleib von Schuler an der Spitze der internationalen Umformtechnik dauerhaft zu garantieren. »Natürlich sind wir viel resilienter und agiler als noch vor drei Jahren. Trotzdem muss unsere Krisen- und Veränderungsbereitschaft hoch bleiben. Denn nur so können wir die Erfolgstradition von Schuler in die Zukunft fortschreiben.«

Dr. Wolfgang Eckelt, High Performance | Top Company Guide